Ausgabe 01/17
COMPETENCE
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COVER
dies zu interpretieren. Ich habe das Thema
nochmals in Angriff genommen und in den
Kontext der Spätantike und Byzanz gestellt.“
Ihre Interpretation in Buchform erschien jüngst
in der Oxford University Press. Sie legte wiede-
rum den Grundstein für ein aktuelles Projekt, in
dem Rapp mit ihrem Team die kurzen Gebete
der Byzantiner für Alltagssituationen analysiert.
Das schrittweise Heranpirschen an neue Er-
kenntnisse kennt auch der Molekularbiologe
Martin Leeb aus seinem Arbeitsalltag. „Wir
setzen wie die Historiker Neues mit Unbe-
kanntem gleich“, sagt der Forscher der Max F.
Perutz Laboratories der Universität Wien und
der Medizinischen Universität Wien.
Martin Leeb ging 2009 nach Cambridge – der
Uni-Campus galt damals schon als eine Art
Paradies für die Stammzellforschung, ausge-
stattet mit den neusten Technologien. Mit sei-
nem Doktorvater Anton Wutz wollte Leeb
dort „haploide“ embryonale Stammzellen
schaffen, also Zellen mit nur einem einfachen
Chromosomensatz. 2011 präsentierten die
Forscher ihre Entwicklung im renommierten
Fachblatt„Nature“.
„Die Biologie und insbesondere die Molekular-
biologie leben vom technologischen Fort-
schritt“, sagt Leeb und verweist etwa auf die
jüngste, weitläufig als Revolution gefeierte In-
novation: die neue Gentechnik CRISPR/Cas,
deren Entdeckung als nobelpreiswürdig gilt.
Mit ihr ist die Veränderung des Erbguts ein-
facher und schneller denn je möglich. Neben
den technologischen Quantensprüngen sei es
in der Biologie, so Leeb, aber vor allem „harte
Arbeit, die Puzzlesteine zusammenzufügen,
um das große Ganze zu verstehen“ – also das
System, wie der Mensch gemacht ist. Um die
Puzzlesteine zusammenzutragen, bedürfe es
der Zusammenarbeit von Molekularbio-
logInnen, ZellbiologInnen, BiochemikerInnen,
BioinformatikerInnen und SystembiologInnen.
DIE GESETZE DER NATUR
Die Natur ist das Paradebeispiel dafür, wie die
Entstehung von Neuem Fortbestand sichert.
Stichwort Evolution: „In der Natur entsteht
Neues aus der Notwendigkeit zur Verände-
rung“, so der Biologe. Es verändern sich Um-
welteinflüsse, zufällige Mutationen setzen
sich durch, der am besten angepasste Orga-
nismus überlebt. Mutationen sind also trei-
bende Kräfte der Veränderung. Doch wäh-
rend die Evolution ein eher langsamer Prozess
ist, entsteht Neues auf biologischer Ebene
auch im Sekundentakt: Bis zu 50 Millionen
Zellen sterben pro Sekunde imMenschen; der
Körper bildet ähnlich viele nach.
„Der Fortschritt der Menschheit ist wie in der
Evolution ein Zufallsprozess. Evolution ist ein
durch Zufall gesteuerter Optimierungsprozess.
Innovationsprozesse sind daher wie Evolu-
tionsprozesse“, meint der Informatiker Helmut
Hlavacs. „Passt man besser ins Ökosystem
hinein, hat man eine höhere Chance zu überle-
ben.“ Nur lasse die Gesellschaft mitunter auch
„sinnlose“ Dinge, etwa zur puren Unterhal-
tung, im gesellschaftlichen Ökosystem überle-
ben. Der Biologe Martin Leeb verweist hinge-
gen auf die verschiedenen Selektionsprozesse,
die die „Evolutionsprozesse“ in der Gesell-
schaft von jenen in der Natur unterscheiden:
„Die Auswahl, was überlebt, erfolgt nach einer
anderen Logik als in der Natur. Bei gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Innova-
tionen bestimmen die Menschen selbst, was
positiv selektioniert wird.“ Damit würden Inno-
vationsprozesse auch erheblich beschleunigt.
In der Biologie
ist Neues mit
Unbekanntem
gleichzusetzen. Den
Erkenntnisgewinn
beflügeln dabei
oft technologische
Entwicklungen.
Martin Leeb
NEUES IM RECHT
Es bleibt ein Blick auf jenes Gebiet, das sichmit
gesellschaftlichem und sozialem Verhalten im
weitesten Sinne beschäftigt: dem Recht, das
auch auf aktuelle Phänomene und Bedürf-
nisse der Gesellschaft reagiert. Wie entsteht in
der Rechtswissenschaft Neues?„Umdas zu be-
antworten, sollte man sich vor Augen führen,
was die Rechtswissenschaft eigentlich tut“,
sagt Magdalena Pöschl, Professorin für Staats-
undVerwaltungsrecht an der UniversitätWien:
„Wir beschäftigen uns mit normativen Texten.
Das moderne, weltliche Recht ist aber nicht
statisch, sondern einem permanentenWandel
unterworfen. Da ständig neue Rechtstexte
veröffentlicht werden, haben wir es täglichmit
einer anderen Rechtslage zu tun.“ Zudem ent-
stehe das Recht an unterschiedlichen Orten,
bei verschiedenen nationalen und internatio-
nalen Gesetzgebern. Ihre Rechtsnormen stün-
den zum Teil in Widerspruch zueinander oder
schränkten sich wechselseitig ein, und einige
Normen wiederum setzen andere außer Kraft.
„Welche Rechtslage sich aufgrund dieser Viel-
falt an Normen ergibt, das klärt die Rechtswis-
senschaft: Wir ordnen und systematisieren
Normen, analysieren die Judikatur und entwi-
ckeln neue Rechtstechniken – so entsteht bei
uns Neues.“
Fotos: Getty Images, Sinai Palimpsests Project, Early Manuscripts Electronic Library (EMEL), Barbara Mair, MFPL-Daniel Hinterramskogler