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COMPETENCE
Ausgabe 01/17
SPECTRUM 1
PARCOURS
DER PSYCHE
Zunehmender Leistungsdruck, Stress am Arbeitsplatz,
kulturelle Entwurzelung: Psychosoziale Expertise hilft
Betroffenen beim Umgang mit diesen Belastungen.
Sie hat darüber hinaus noch einen größeren
gesellschaftlichen Auftrag.
ie viele Menschen leiden an
psychischen Erkrankungen?
Wer hat Depressionen, wer ist
psychisch belastet? Das Leid
der Seele in Zahlen zu fassen,
ist schwierig. Studien kommen zu höchst un
terschiedlichen Ergebnissen. „Das spielt aber
auch nur eine geringe Rolle, denn die Zahlen
zeigen allesamt eindeutig: Psychische Erkran
kungen sind ein Problem“, sagt der Psychologe
Christian Korunka. Der Bedarf an fachkundiger
Beratung und Therapie sei gegeben. Mehr
qualifizierte TherapeutInnen dienen dabei
nicht nur den Betroffenen. Für Korunka, Leiter
des Universitätslehrgangs „Psychotherapeu
tisches Propädeutikum“, hat die Psychothera
pie einen weiteren Auftrag. Sie könne einen
wichtigen Beitrag leisten, gesellschaftlicheVer
änderungen – etwa vor dem Hintergrund von
zunehmendem Leistungsdruck, wachsender
Zuwanderung und dem engeren Miteinander
von verschiedenen Kulturen – zu meistern.
MIT NÄHE ZUR FORSCHUNG
In der täglichen Versorgungsarbeit müssen
sich PsychotherapeutInnen zunehmend „über
die wissenschaftliche Fundiertheit des eige
nen Handelns im Klaren sein“, sagt Wilfried
Datler, Experte für Psychoanalytische Pädago
gik: „Es wachsen die Ansprüche, sodass sich
PsychotherapeutInnen immer intensiver mit
Forschung beschäftigen.“ Das sei auch durch
aus begrüßenswert, meint der Lehrende
im „Psychotherapeutischen Fachspezifikum“.
Denn so könne die Psychotherapie letztlich
auch dazu beitragen, offene Fragen in ihrem
Feld zu beantworten.
Eine Fragestellung ist etwa, wie sich die immer
lautere Forderung der GeldgeberInnen nach
evidenzbasierten Studien auf die Psychothera
pie übertragen lässt. Immerhin greife hier
nicht die Logik von pharmakologischen
Studien, inmöglichst groß angelegten Studien
mit vielen TeilnehmerInnen Behandlungs
erfolge nachzuweisen: „Bei der alltäglichen
Versorgungsarbeit spielen Mikroprozesse und
sehr individuelle Aspekte eine Rolle. Hier
sollten TherapeutInnen den wissenschaft
lichen Diskurs kennen, um sich in den öffent
lichen Diskussionen auch einbringen und
argumentieren zu können“, so Datler. Durch
die Verankerung der PsychotherapeutInnen-
Ausbildung an der Universität Wien sei eine
enge Anbindung und Beschäftigung mit der
Forschung gegeben.
BRISANT IM BETRIEB
Während die Psychotherapie die psychische
Gesundheit des Menschen als großes Ziel ver
folgt, geht es bei „Supervision und Coaching
letztlich um die sehr komplexe Frage nach
Arbeitsfähigkeit. Das berufliche Handeln von
Menschen steht im Vordergrund“, sagt die
W
Supervisorin und Coach Kornelia Steinhardt.
In einer sich immer schneller wandelnden
Arbeitswelt wächst die Brisanz des Themas:
Die Anforderungen an Führungskräfte und
MitarbeiterInnen werden immer vielfältiger.
Zudem: „Nicht nur Profit-, sondern auch Non-
Profit-Organisationen sind immer mehr damit
konfrontiert, wirtschaftlich arbeiten zu müs
sen“, sagt die Begleiterin des Universitäts
lehrgangs „Supervision und Coaching“. Gesell
schaftlicher Wandel zwingt Unternehmen, viel
häufiger ihre Dienstleistungen sowie Produkte
zu ändern. All dies stellt neue Herausforde
rungen an MitarbeiterInnen dar, Kommunika
tionsprozesse werden vielschichtiger und an
Führungspositionen werden ganz neue An
forderungen gestellt. Die Reibungsflächen
und Konfliktpotenziale sind laut Steinhardt
ohne Unterstützung schwerer zu bewältigen:
„So gibt es einen steigenden Bedarf an Ex-
pertInnen, die Unternehmen und ihre Mit-
arbeiterInnen beraten.“
Mit dem „Psychotherapeutischen Propä-
deutikum“ und dem „Psychotherapeu-
tischen Fachspezifikum“ mit Fokus auf In-
dividualpsychologie und Selbstpsychologie
bietet die Universität Wien die zweipha-
sige Ausbildung zum Psychotherapeuten/
zur Psychotherapeutin in Österreich an.
Eine fundierte Beratungskompetenz für
die breit gestreuten Anliegen und Anfor-
derungen im Berufsleben vermittelt der
Universitätslehrgang „Supervision und
Coaching“.
BERATUNGS-
KOMPETENZ
Es wachsen die
Ansprüche, sodass
sich Psycho-
therapeutInnen
immer intensiver
mit Forschung
beschäftigen.
Wilfried Datler