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COMPETENCE
Ausgabe 01/17
FOCUS
NEU ES DENKEN:
ABER WIE?
Wissenscha sforscherin Ulrike Felt über Bedingungen
der Wissen(scha )sproduktion, die Kommunikation
darüber und warum Innovationen o mals von den
Rändern der etablierten Forschungsbereiche kommen.
as Reden über Zukunftswis-
sen und Zukunftsfähigkeit ist
heute omnipräsent.Wir schei-
nen uns als westliche Wis-
sensgesellschaften an einem
Punkt zu be nden, an dem wie kaum zuvor
neues Wissen und technologische Innovation
als Garant für Fortschritt gesehen werden. Wir
sollen uns „aus der Krise innovieren“, wie ein
rezenter EU-Bericht diese Ho nung beschreibt.
Daher stellt sich immer drängender die Frage:
Was bedeutet „Neues“ und was müssen wir
tun, um es zu fördern?
Einige Gedanken – und eine
Einladung zumWeiterspinnen:
BESTANDSAUFNAHME: RADIKALES
SPRECHEN, KONSERVATIVES DENKEN
Eine kurze Problemskizze: Während sich unser
Sprechen über die Bedeutung des Neuen in
die Gesellschaft ausbreitet, immer mehr über
die Notwendigkeit von radikaler Innovation
spekuliert wird und die Erwartungen an Wis-
senschaft und Technik steigen, verengen sich
gleichzeitig die Handlungs- und Denkräume
in der Wissenschaft selbst. Zu rasch sollen aus
Wissen Anwendungen entstehen, zu sehr
wird auf Planbarkeit gesetzt, und damit auf
quasi-buchhalterische Kontrolle der wissen-
schaftlichen Leistungen (Stichwort: Indika-
toren). Der wachsende Wettbewerb um enge
Budgets, von dem man sich eigentlich Leis-
tungssteigerung erho te, wirkt dem Mut
entgegen, außerhalb ausgetretener Pfade
wirklich Neues zu denken – aus Sorge über
denmöglichenVerlust wertvoller Forschungs-
mittel. Das fördert im Grunde eher konserva-
tives, systemkonformes Denken.
DAS NEUE KOMMT VON DEN RÄNDERN
Unzählige Beispiele aus der Vergangenheit
sollten uns gelehrt haben, dass wirklich neue
Ideen oft von den Rändern der etablierten
Forschungsbereiche kommen, aus Zwischen-
räumen zwischen organisierten Netzwerken,
kurz aus Räumen, in denen Ideen unterschied-
licher Herkunft einander begegnen können.
Warum ist das so? Man könnte sagen, dass in
dem Moment, in dem wir uns lange in einem
Forschungsfeld aufgehalten haben, wir einge-
bunden sind und aktive Austauschbezie-
hungen haben. Sobald wir fester Teil eines
Denkkollektivs (Ludwik Fleck) geworden sind,
hinterfragen wir nicht mehr, wie wir zuWissen
kommen und die Welt sehen. Wir teilen in sol-
chen Denkkollektiven einen bestimmten Stil
Fragen zu stellen und zu beantworten. Wäh-
rend dies a priori kein Problem ist und die
meiste sehr guteWissenschaft wohl so betrie-
ben wird, entstehen radikalere Innovationen
oder grundlegend neues Wissen oft genau
durch die „Störung“ solch eingeübter Mecha-
nismen. Dies erklärt auch, warum gerade zu
Anfang der wirkliche Umfang von Durchbrü-
chen nicht (an)erkannt wird, denn sie passen
nicht in eingeübte Schemata. Gegen den
Strom eines Denkkollektivs zu schwimmen,
etwas auszuprobieren, bedeutet also immer
Risikobereitschaft.
WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION
EINMAL ANDERS DENKEN
Was wäre, wennwir für einenMoment den Aus-
tausch über unser Wissen mit anderen Denk-
kollektiven – unterschiedliche gesellschaftliche
Gruppen oder andere wissenschaftliche
Bereiche – als einen solchen Moment des „An-
dersdenkens“ und der notwendigen Störung
der Wissenschaft sähen? Wissenschaftskom-
munikation würde dann die Bereitschaft sein,
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