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08

COMPETENCE

Ausgabe 01/17

FOCUS

NEU ES DENKEN:

ABER WIE?

Wissenscha sforscherin Ulrike Felt über Bedingungen

der Wissen(scha )sproduktion, die Kommunikation

darüber und warum Innovationen o mals von den

Rändern der etablierten Forschungsbereiche kommen.

as Reden über Zukunftswis-

sen und Zukunftsfähigkeit ist

heute omnipräsent.Wir schei-

nen uns als westliche Wis-

sensgesellschaften an einem

Punkt zu be nden, an dem wie kaum zuvor

neues Wissen und technologische Innovation

als Garant für Fortschritt gesehen werden. Wir

sollen uns „aus der Krise innovieren“, wie ein

rezenter EU-Bericht diese Ho nung beschreibt.

Daher stellt sich immer drängender die Frage:

Was bedeutet „Neues“ und was müssen wir

tun, um es zu fördern?

Einige Gedanken – und eine

Einladung zumWeiterspinnen:

BESTANDSAUFNAHME: RADIKALES

SPRECHEN, KONSERVATIVES DENKEN

Eine kurze Problemskizze: Während sich unser

Sprechen über die Bedeutung des Neuen in

die Gesellschaft ausbreitet, immer mehr über

die Notwendigkeit von radikaler Innovation

spekuliert wird und die Erwartungen an Wis-

senschaft und Technik steigen, verengen sich

gleichzeitig die Handlungs- und Denkräume

in der Wissenschaft selbst. Zu rasch sollen aus

Wissen Anwendungen entstehen, zu sehr

wird auf Planbarkeit gesetzt, und damit auf

quasi-buchhalterische Kontrolle der wissen-

schaftlichen Leistungen (Stichwort: Indika-

toren). Der wachsende Wettbewerb um enge

Budgets, von dem man sich eigentlich Leis-

tungssteigerung erho te, wirkt dem Mut

entgegen, außerhalb ausgetretener Pfade

wirklich Neues zu denken – aus Sorge über

denmöglichenVerlust wertvoller Forschungs-

mittel. Das fördert im Grunde eher konserva-

tives, systemkonformes Denken.

DAS NEUE KOMMT VON DEN RÄNDERN

Unzählige Beispiele aus der Vergangenheit

sollten uns gelehrt haben, dass wirklich neue

Ideen oft von den Rändern der etablierten

Forschungsbereiche kommen, aus Zwischen-

räumen zwischen organisierten Netzwerken,

kurz aus Räumen, in denen Ideen unterschied-

licher Herkunft einander begegnen können.

Warum ist das so? Man könnte sagen, dass in

dem Moment, in dem wir uns lange in einem

Forschungsfeld aufgehalten haben, wir einge-

bunden sind und aktive Austauschbezie-

hungen haben. Sobald wir fester Teil eines

Denkkollektivs (Ludwik Fleck) geworden sind,

hinterfragen wir nicht mehr, wie wir zuWissen

kommen und die Welt sehen. Wir teilen in sol-

chen Denkkollektiven einen bestimmten Stil

Fragen zu stellen und zu beantworten. Wäh-

rend dies a priori kein Problem ist und die

meiste sehr guteWissenschaft wohl so betrie-

ben wird, entstehen radikalere Innovationen

oder grundlegend neues Wissen oft genau

durch die „Störung“ solch eingeübter Mecha-

nismen. Dies erklärt auch, warum gerade zu

Anfang der wirkliche Umfang von Durchbrü-

chen nicht (an)erkannt wird, denn sie passen

nicht in eingeübte Schemata. Gegen den

Strom eines Denkkollektivs zu schwimmen,

etwas auszuprobieren, bedeutet also immer

Risikobereitschaft.

WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION

EINMAL ANDERS DENKEN

Was wäre, wennwir für einenMoment den Aus-

tausch über unser Wissen mit anderen Denk-

kollektiven – unterschiedliche gesellschaftliche

Gruppen oder andere wissenschaftliche

Bereiche – als einen solchen Moment des „An-

dersdenkens“ und der notwendigen Störung

der Wissenschaft sähen? Wissenschaftskom-

munikation würde dann die Bereitschaft sein,

D