uniMind|Lecture

"Digitalisierung der Arbeit"

Univ.-Prof. Dr. Jörg Flecker
Institut für Soziologie, Universität Wien  

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Im Rahmen der dritten uniMind Lecture hielt Jörg Flecker einen interessanten Vortrag über das Thema „Digitalisierung der Arbeit“ vor knapp 60 ZuhörerInnen in der Wirtschaftskammer Wien.

Nach der Eröffnungsansprache durch Regina Plas, Abteilung Wirtschaftspolitik – Referat Umwelt, Innovation und Technologietransfer, und Nino Tomaschek, Director des Postgraduate Centers, stieg Jörg Flecker mit einem historischen Rückblick auf die bisherigen Diskurse bezüglich Automatisierung und Digitalisierung der Arbeit ein. Er betonte, dass jene in mehreren Wellen abgelaufen wären. Immer wieder wäre das "Ende der Arbeitstätigkeit" ausgerufen worden – dass also Roboter die Arbeit der Menschen übernehmen würden – was sich jedoch nie eingestellt hätte. Der Soziologe betonte, dass Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse immer von zwei Seiten betrachtet werden müssten: Es wären nicht nur Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen, sondern es entstünden auch immer wieder neue Jobs. Eine andere Entwicklung wäre, dass sich die Qualifikationsvoraussetzungen immer weiter ändern würden; manche Qualifikationen würden unwichtiger, dafür wären neue gefragt. Des Weiteren gälte es zu beachten, wie sich wirtschaftliche Strukturen veränderten: Die Verlagerung des Handels ins Internet zöge die Auflösung physischer Infrastruktur nach sich. Die Welt würde immer mehr zusammenrücken aufgrund der ortsunabhängigen Verfügbarkeit von Information und Daten.

Flecker verwies auf Studien, die zeigten, dass der Automatisierungsprozess umfangreiche Änderungen der Beschäftigung nach sich ziehen könnte: Für Industriestaaten würde das "Automatisierungsrisiko", d.h. das Risiko, dass der eigene Job durch die Automatisierung "einsparbar" würde, schätzungsweise zwischen 9% und 47% liegen. Knapp die Hälfte aller ÖsterreicherInnen hätte ein Risiko von mindestens 60%, ihre Arbeit durch die Digitalisierung und Automatisierung zu verlieren.


Beschleunigung des Strukturwandels

Flecker stellte die Frage in den Raum, ob die Digitalisierung und Automatisierung in diesem Jahrzehnt wirklich gravierende Folgen für die Arbeitsbeschäftigung nach sich ziehen könnte. Er beschrieb, wie das Zusammenwirken mehrerer Faktoren die Transformation unserer Arbeitswelt beschleunigen könnte.

Einer dieser Faktoren wäre die vermehrte Automation im Dienstleistungsbereich, besonders im direkten Kontakt mit KundInnen, etwa in der Verwaltung und Sachbearbeitung, aber auch im Bereich der Pflege, wo Roboter zum Einsatz kommen würden.

Auch die vermehrte Ortsunabhängigkeit von Arbeit und die Arbeit von KonsumentInnen wäre eine wichtige neue Entwicklung. Flecker sprach das Phänomen des "Crowdsourcing" an, also die Auslagerung interner Aufgaben an freiwillige, unbezahlte UserInnen über das Internet. In diesem Zusammenhang nannte Flecker auch das Auftreten von ProsumerInnen, die traditionell entgeltlich erbrachte Arbeit gratis als Freizeitbeschäftigung über das Internet anböten. Als Beispiel führte er den/die BloggerIn versus den klassischen Journalisten/die klassische Journalistin an. Diese Entwicklung würde immer stärker zu einem Verschwimmen der Grenzen von Konsum und Erwerb, von Freizeit und Arbeit führen.


Technikzentrierung versus Humanzentrierung

Flecker zeigte auch die gegensätzliche Perspektive auf: Die Abnahme des Arbeitsausmaßes könnte auch positiv gesehen werden. Der Soziologe zitierte Keynes, der bereits 1930 meinte, dass die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten immer effektiver arbeiten, immer mehr Arbeit einsparen und dadurch ihren Lebensstandard um ein Vielfaches verbessern würde.

Flecker fasste die beiden Sichtweisen der Technikentwicklung nach Lars Windelband 2014 folgendermaßen zusammen: Im "Automatisierungsszenario" herrschte Technikzentrierung vor, d.h. die Vorstellung, der Mensch würde zum "Hilfsarbeiter" der Technik degradiert, im "Werkzeugszenario" hingegen die Humanzentrierung: Hier hätte die Technik eine unterstützende Funktion für den Menschen.

Hierhinein würde auch die Änderung der Bewertung von Qualifikationen spielen: Bestimmte Tätigkeiten, die früher als Hilfsarbeit betrachtet wurde, wie etwa Programmiertätigkeiten, wären heute stark nachgefragt, während andere Tätigkeiten durch Standardisierungsverfahren (arbeitsteilige elektronische Workflows) degradiert würden.


Die "neue Taglöhnerei"

Eine neue "alte" Beschäftigungsform wäre das Crowdworking, die neue digitale "Taglöhnerei", die zwar die Möglichkeit, von Zuhause oder mobil zu arbeiten, bieten würde, aber auch ein hohes Ausmaß an Druck in Form von ständiger Erreichbarkeit, Beschleunigung, Multitasking, nach sich ziehen würde. Anstelle der gepriesenen Selbstbestimmung hätte sich so ein neues Prekariat entwickelt.

Flecker betonte, dass die Auswirkungen technischer Entwicklungen, gleich wie gravierend sie scheinen mögen, einzig vom Umgang der Gesellschaft mit ihnen abhängig wären. Wirtschaft und Politik könnten jene gestalten, gesellschaftliche Normen wären für die gegenwärtige wie zukünftige Gestaltung der Beschäftigung verantwortlich.


Offene Plenumsdiskussion

Im Anschluss an den Vortrag waren die ZuhörerInnen eingeladen, Fragen zu stellen, die gehörten Inhalte zu diskutieren und weiterzudenken. Besonders brennend waren die Themen, inwieweit die Arbeitstätigkeit als sinn- und identitätsstiftendes Element an Wert verlieren würde und wie die Entgrenzung von Zeit, Ort und Arbeit-Freizeit-Verhältnis in Zukunft ausschauen würde, sowie die Frage nach Zuständigkeit und Möglichkeiten der politischen Gestaltung der neuen Entwicklungen. Der Soziologe Flecker verwies hier auf seine zentrale Position, dass es nicht die neuen Technologien an sich wären, die die Änderungen in Arbeitszeit und Arbeitsorganisation bedingten, sondern die Gesellschaft und Politik immer Gestaltungsmöglichkeiten hätten – sie wären auch in der Pflicht, diesen Prozess des Wandels aktiv zu gestalten.

Nach der Plenumsdiskussion nahmen die ZuhörerInnen die Gelegenheit wahr, sich bei Brötchen und Getränken intensiver auszutauschen und zu vernetzten.