"Historisch betrachtet gilt Wien seit jeher als Standort der Psychotherapie"

Als Vorreiterin in Österreich bietet die Universität Wien die gesamte Psychotherapie-Ausbildung mit akademischem Abschluss an einer öffentlichen Universität an. Um ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen, baut die Universität Wien den Bereich kontinuierlich aus. Seit neuestem mit dabei: Der Bachelor "Psychotherapie Grundlagen" und das Fachspezifikum mit Masterabschluss "Systemische Psychotherapie/ Systemische Familientherapie". Anlässlich dieses wachsenden Angebots haben wir Christian Korunka, Psychologe, Psychotherapeut und Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Wien, sowie Tanja Prinz, verantwortlich für den Bereich Program Development am Postgraduate Center der Universität Wien, zum Interview gebeten.

Die Universität Wien baut ihren Psychotherapie-Ausbildungsschwerpunkt weiter aus. Welche Intention steckt dahinter?

Christian Korunka: Die Universität Wien hat als größte und älteste Universität Österreichs allein historisch einen großen Schwerpunkt im Psychotherapie-Bereich. Unser "Psychotherapeutisches Propädeutikum" gibt es bereits seit 30 Jahren. Auf dieser Erfahrung und Expertise aufzubauen, ist ein logischer Schritt.

Tanja Prinz: Aktuell haben wir zwei große Gesetzesänderungen, die Dynamik in die Programmentwicklung gebracht haben. Zum einen hat es die letzte Universitätsgesetzes-Novelle ermöglicht, einen Weiterbildungs-Bachelor anzubieten. Das werden wir im Psychotherapiebereich ab Sommersemester 2024 machen. Zum anderen geht das neue Psychotherapiegesetz bald in die Begutachtung, das eine Akademisierung vorsieht. Die Universität Wien nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und bietet als öffentliche Universität die gesamte Psychotherapie-Ausbildung mit akademischem Abschluss an.

Christian Korunka: Neben dem Psychotherapeutischen Propädeutikum können Interessierte auch den Bachelor "Psychotherapie Grundlagen" absolvieren. Darauf aufbauend bieten wir mehrere Kooperationen mit Fachspezifika und Masterabschluss in den unterschiedlichen Psychotherapeutischen Clustern an. In Zukunft kann daher sowohl die erste als auch die zweite Ausbildungsphase an der Universität Wien absolviert werden.

Tanja Prinz: Unsere Stärke liegt in der Zusammenarbeit mit qualitativ hochwertigen Ausbildungsvereinen und -institutionen. Die Expertise der Universität Wien, die tiefe Verankerung des psychosozialen Expert*innenwissens in diversen Disziplinen und Fakultäten wird mit der psychotherapeutischen Praxis kombiniert. Das Ergebnis ist eine hoch qualitative Ausbildung.

Christian Korunka: Historisch betrachtet gilt Wien seit jeher als Standort der Psychotherapie. Denkt man an Wien, so denkt man an Sigmund Freud, Alfred Adler, Viktor Frankl, Jakob Levy Moreno und einige andere. Die Universität Wien hat eine lange Tradition und Expertise im Bereich der Psychotherapie und ihren unterschiedlichen Richtungen und Strömungen. Ich freue mich sehr, dass wir diesen Bereich nun weiter ausbauen.


Apropos Ausbau: Durch eine Universitätsgesetzes-Novelle ist es erstmals möglich einen Bachelor in Form einer berufsbegleitenden Weiterbildung anzubieten. Als eine der ersten öffentlichen Universitäten nutzen Sie diese Möglichkeit mit dem neuen Bachelorstudium „Psychotherapie Grundlagen“.

Tanja Prinz: Dass die beiden (möglichen) Gesetzesänderungen zeitlich aufeinandertreffen, war eine einmalige Gelegenheit. Die Universität Wien bietet dadurch in Zukunft die gesamte Psychotherapie-Ausbildung mit akademischem Abschluss an einer öffentlichen Universität an.

Christian Korunka: Den Bachelor in dieser Form einzurichten, war eine naheliegende Entwicklung. Die universitäre Verankerung war durch das Psychotherapeutische Propädeutikum bereits gegeben. Hier konnten wir auf jahrzehntelange Expertise aufbauen und ein sehr gutes Angebot entwickeln.

Tanja Prinz: Der berufsbegleitende Bachelor spricht unsere Zielgruppe hervorragend an. Unsere Teilnehmer*innen im Psychotherapeutischen Propädeutikum sind im Schnitt um die 35 Jahre alt und stehen mitten im Berufsleben. Manche wollen sich dadurch auch beruflich verändern. Sie bringen breite Vorerfahrungen durch diverse Ausbildungen und Studienrichtungen sowie Lebenserfahrung mit. Unsere Lehrformate sind speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Der Bachelor bietet somit eine gute Möglichkeit für den ersten Schritt der Psychotherapieausbildung in Österreich.


Welche Fachspezifika werden bereits angeboten und sind weitere geplant?

Tanja Prinz: Die Universität Wien ist als qualitativer Anbieter im psychotherapeutischen Bereich bekannt. Seit vielen Jahren bieten wir das Fachspezifikum "Individual- und Selbstpsychologie" an. Ergänzt wurde dieses um die "Personzentrierte Psychotherapie". Neu ab Herbst 2023 startet die "Systemische Psychotherapie / Systemische Familientherapie" erstmals. Wir arbeiten sehr eng mit den Ausbildungsvereinen und -institutionen zusammen, um gemeinsam die Verschränkung psychotherapeutischer Praxisorientierung mit wissenschaftlicher Qualität und Expertise zu ermöglichen.

Christian Korunka: Die Universität Wien wird in Zukunft Fachspezifika in allen vier Clustern anbieten. Neben den bestehenden Fachspezifika im Bereich der tiefenpsychologisch-psychodynamischen, der humanistischen und der systemischen Richtung ist ein Fachspezifikum im Bereich der Verhaltenstherapie in Planung. Ergänzt wird das Portfolio durch eine weitere wichtige österreichische Strömung im humanistischen Bereich: Existenzanalyse und Logotherapie werden ebenfalls einen Platz an der Universität Wien erhalten.


Psychische Gesundheit ist nicht erst seit Covid Thema. Wird der Bedarf in den nächsten Jahren steigen?

Christian Korunka: Österreich hat international gesehen eine relativ gute Versorgung im Bereich psychischer Erkrankungen. Trotzdem können derzeit nur ca. die Hälfte aller Personen, die Hilfe benötigen oder auf der Suche nach einer solchen sind, versorgt werden. Besonders im Bereich der Versorgung von Kindern und Jugendlichen beobachten wir eine Zunahme des Bedarfs. Dieser kann aktuell bereits nicht mehr gedeckt werden. Zusätzlich kommt auch in unserem Bereich eine Pensionierungswelle auf uns zu (Stichwort Babyboomer). Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist es wichtig, jetzt das dafür nötige Ausbildungsangebot zur Verfügung zu stellen.

Tanja Prinz: Die Universität Wien leistet durch ihr Ausbildungsangebot einen gesellschaftlichen Beitrag, um vermehrten psychischen Belastungen durch diverse Krisen (Stichwort Pandemie, Kriege, Klimawandel) verantwortungsvoll zu begegnen.


Christian Korunka leitet den Bereich "Arbeits- und Organisationspsychologie" an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Universitätslehrgangs "Psychotherapeutisches Propädeutikum", des Bachelor "Psychotherapie Grundlagen" sowie des Masterprogramms "Personzentrierte Psychotherapie". Christian Korunka ist Gesundheitspsychologe, Supervisor und personzentrierter Psychotherapeut.

Tanja Prinz hat Kultur- und Sozialanthropologie sowie Bildungsmanagement studiert. Ursprünglich in der Menschenrechtsbildung tätig, leitete sie von 2011 bis 2018 die Bildungseinrichtung von Amnesty International, bevor sie an das Postgraduate Center der Universität Wien wechselte. Dort ist sie stellvertretende Leiterin und verantwortet den Bereich Program Development.


Mehr Informationen: Psychotherapie an der Universität Wien