Nachhaltigkeit & Tourismus

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Nachhaltigkeit & Tourismus

Interview mit Yvonne Franz und Martin Heintel, Stadtplanungs- und Regionalentwicklungsexpert*innen sowie wissenschaftliche Leitung des Programms zur "Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung"

Wie können touristische Destinationen, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind (z. B. Alpen, Küstenregionen), ihre Anfälligkeit verringern und sich zukunftsfähig aufstellen?

Tourismusdestinationen stehen weltweit gesehen zunehmend unter Druck. Die Folgen der Klimakrise werden in urbanen Destinationen ebenso spürbarer wie in naturnahen Regionen. Während Städtetourismus zunehmend unter Extremwetterereignissen wie Hitzeperioden im Sommer oder Starkregenereignisse leidet, sind Wintertourismusdestinationen mit Fragestellungen der Schneesicherheit, Saisonverlängerung, Besucher*innenlenkung uvm. konfrontiert.

Unabhängig von den geographisch spezifischen Herausforderungen wird auch deutlich: Der Widerstand von Bewohner*innen steigt ebenfalls. Die sogenannte Enkel*innnen-freundlichkeit ist in aktuellen Tourismusentwicklungen, die auf Wachstumslogiken beruhen, nicht erkennbar. Im (österreichischen) Tourismussektor wird dies oft als "Tourismusakzeptanz" benannt. Für geographische Tourismusforschung ist dies allerdings zu einseitig, denn es geht nicht um (einseitige) Akzeptanz, sondern um ein Miteinander aller involvierten und betroffenen Akteur*innen. Das betrifft vor allem die Natur selbst, die selten im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsbestrebungen steht. Das muss sich ändern, damit Tourismusdestinationen nachhaltig resilient bleiben.

Welche Rolle kann nachhaltiger Tourismus in der Entwicklung ländlicher Regionen spielen, und wo sehen Sie die größten Zielkonflikte zwischen wirtschaftlichem Wachstum und ökologischer Tragfähigkeit? 

Wir unterscheiden hier zumindest ländlich periphere Regionen und jenen, in denen der Tourismus den dominanten Wirtschaftszweig darstellt. Hier sprechen wir von Struktur- oder Homogenitätsregionen. Projekte der letzten Jahre in Österreich zeigten auf, dass Tourismus in ländlich peripheren Regionen tendenziell gut mit Regionalentwicklung kooperiert und meist nachhaltig agiert. Zum Teil bedingt durch mangelnde Alternativen und klammen Budgets der öffentlichen Hand. Dies wirkt sich in der Regel in ländlichen Räumen deutlich nachhaltiger aus als in Tourismusintensivregionen, die gegenwärtig (noch) eine dominante Wertschöpfung aus einer Sparte der Wirtschaft, nämlich der Tourismuswirtschaft, beziehen.

Wir geben zu bedenken: Einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Österreich ist die Tourismuswirtschaft. Dies ist häufig wenig nachhaltig, auch ist es nicht resilient. Die Zielkonflikte in starken Tourismusregionen liegen auf der Hand: Zunehmend gibt es Konflikte zwischen Einheimischen und Gästen, auch ist der Ausbau der Infrastruktur wie Lifte, Beschneiungsanlagen und Wasserspeicher vielfach an der Grenze und steht nicht im Gleichklang mit klimatischen Veränderungen bedingt durch den Klimawandel. Nicht umsonst setzen Touristiker*innen neuerlich auf den Begriff des "Lebensraums", der zwar unkritisch hinsichtlich der historischen Verwendung eingesetzt wird, durchaus aber das Miteinander von allen, nämlich Einheimischen wie Gästen in einem gemeinsamen Raum als Miteinander hervorheben soll.

Welche politischen, wirtschaftlichen oder lokalen Maßnahmen halten Sie für besonders wirksam, um nachhaltigen Tourismus über reine "grüne Labels" hinaus tatsächlich zu verankern?

Labeling und Zertifizierungen spielen neuerdings im Tourismus allgemein, der Hotellerie sowie bei den Destinationen weltweit eine zunehmend bedeutende Rolle. Das ist gut, aber nicht ausreichend. Historisch gesehen ist im Tourismus das Nachhaltigkeitsbewusstsein relativ spät angekommen. Der Nachhaltigkeitsbegriff kommt aus der Forstwirtschaft und ist über 300 Jahre alt. Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro von 1992 positionierte den Begriff der Nachhaltigkeit erstmals global.

Heute spricht der Tourismus von Nachhaltigkeit, in der Breite wohl mehr aus der Not, in Teilbereichen aber auch aus Überzeugung. Das bringt auch viele Chancen mit sich, v.a. bei der jüngeren Generation der Touristiker*innen. Diese sind auch die Zielgruppe von Bildungsangeboten im Bereich der Nachhaltigkeit im Tourismus, wie jüngste Erfahrungen zeigen. So bietet das Postgraduate Center der Universität Wien im Rahmen des Zertifikatsprogramms zur Nachhaltigen Region erstmals ein Corporate-Program für das Destinationsnetzwerk-Austria dna an und führt die "Nachhaltigkeits-Akademie" im laufenden Wintersemester durch. Die Kernzielgruppe sind Touristiker*innen, die in der österreichischen Tourismuswirtschaft tätig sind. Es zeigt sich, dass v.a. junge Nachwuchskräfte daran teilnehmen. Das Kommunikationspotenzial von Touristiker*innen vor Ort darf nicht unterschätzt werden, erreichen sie doch sehr viele unterschiedliche Gästezielgruppen in allen Alterskohorten. Weiterbildung ist somit ein äußerst wichtiger Teil der Verankerung eines nachhaltigen Selbstverständnisses und einer berufsethischen Verantwortung. Destinationen setzen auch zunehmend Nachhaltigkeitsbeauftragte in ihren Regionen ein. Hier gehen also Karrierevorstellungen und Personalentwicklungsstrategien Hand in Hand.

Welche raumplanerischen Strategien können helfen, die Belastung durch Overtourism in besonders beliebten Reisezielen zu verringern, ohne die lokale Wirtschaft zu schwächen? Welche Rolle spielt die Einbindung lokaler Bevölkerung bei der Entwicklung von nachhaltigen Tourismusprojekten, und wie kann man Zielkonflikte zwischen Tourist:innen und Anwohner:innen entschärfen?

Aktuelle internationale Beispiele wie Venedig, Barcelona oder Mallorca zeigen: Wir stehen hier erst am Beginn solider Erfahrungswerte. Während Eintrittsgelder für Venedig per se nicht den internationalen Kreuzfahrttourismus eindämmen werden, so hat dies doch symbolische Wirkung und zeigt die Belastungsgrenzen auf. Wenn die Einnahmen aus solchen Besucherlenkungen in soziale Infrastrukturen investiert werden, von denen die lokale Wohnbevölkerung oder Kulturschaffende profitieren, ist das sinnvoll. Nichtsdestotrotz gilt es zu bedenken: Der Tourismus kann im Sinne einer prosperierenden Wirtschaft nicht unendlich wachsen. Es gibt Belastungsgrenzen und ein "genug". Diese sind gesellschaftspolitisch auszuverhandeln und das wiederum fordert gerechte Beteiligungsformate für Viele – und nicht für einige wenige ressourcenstarke Akteur*innen.

Wie können Geodaten, Fernerkundung oder digitale Kartenplattformen dazu beitragen, nachhaltige Tourismuskonzepte zu planen und deren Wirkung messbar zu machen?

Geodaten sowie Messbarkeiten spielen eine zunehmend wichtige Rolle im Bereich des touristischen Monitorings oder zunehmend auch in der Besucher*innenlenkung. Das Tool RESY bietet in Österreich erstmals die Möglichkeit, Gemeinden vergleichend zu monitoren, Regionen zu konfigurieren und somit auch vergleichbar zu machen. Demographie, Wirtschaft, Tourismus, Infrastruktur, Mobilität, Energie und Umwelt sind in diesem Dashboard datenmäßig von 2011 bis heute hinterlegt. Datenbasierte Aufbereitungen wie diese spielen eine immer größere Rolle, um eigene Entwicklungen z.B. im Kontext der Nachhaltigkeit überhaupt erst beobachten und visualisieren zu können.

Bei Fragen der Besucher*innenlenkung, z.B. auf Trails für Mountainbiker*innen oder bei Eintrittsstellen in Nationalparks spielen Daten ebenso eine große Rolle. Wenn Besucher*innen vorab zu Staus und Wartezeiten informiert werden können, so lassen sich Besucher*innen gezielt umlenken. Das hat u.U. auch positive Auswirkungen auf das vor- und nachgelagerte Mobilitätsverhalten, da Entscheidungen zu Destinationen, sowie An- und Abreise in der Regel von zu Hause erfolgen. Allerdings hat Besucher*innenlenkung auch offensichtliche Limitationen: Wenn es in einer Region genau diese eine touristische Zieldestination, nehmen wir beispielsweise das Schloss Schönbrunn in Wien, gibt, so lassen sich Besucher*innen nicht unbedingt an das Technische Museum in der direkten Nachbarschaft umlenken.

Mit welchen Inhalten beschäftigt sich das Zertifikatsprogramm „Die nachhaltige Region“ und welche Kompetenzen erwerben die Teilnehmer*innen?

Mit dem Zertifikatsprogramm "Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung – die nachhaltige Region" starten wir im kommenden Sommersemester 2026 bereits zum vierten Mal (erster Start 2020/Angebot zyklisch alle vier Semester). Die "nachhaltige Region" zählt zu unseren erfolgreichsten Semesterprogrammen. Wir orientieren uns an vielfältigen Zugängen, um Kompetenzen für die Berufspraxis zu vermitteln. Dabei nutzen wir Konzepte, Kommunikationstools und Praxisbeispiele, um Nachhaltigkeit in der Stadt- und Regionalentwicklung so zu verankern, dass Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft ein gemeinsames Verständnis entwickeln können.

Ein konkretes Beispiel: Wenn es gelingt, das Thema Bodenverbrauch gesellschaftlich so zu verankern, dass eine gemeinsame Verständigungsebene zur limitierten Ressource "Boden" möglich ist, muss auf kommunaler Ebene nicht immer von Neuem gestritten werden. Wir haben ausreichend wirksame (Planungs-)Instrumente, um dem Bodenverbrauch in der gegenwärtigen Dynamik ein Ende zu setzen. Es bedarf "nur" einer verantwortungsvollen Umsetzung. Und: Ein Bekenntnis zur Kooperation über Silos und Kirchtürme hinweg.