Sommerhitze in der Stadt und im ländlichen Raum

Sommerhitze in der Stadt und im ländlichen Raum

Interview mit Yvonne Franz und Martin Heintel, Stadtplanungs- und Regionalentwicklungsexpert*innen sowie wissenschaftliche Leitung des Programms zur "Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung"

Welche stadtstrukturellen und baulichen Faktoren begünstigen Ihrer Einschätzung nach die überproportionale Aufheizung urbaner Räume im Sommer – und inwiefern lassen diese sich theoretisch und empirisch erfassen?

Nehmen wir Wien als Beispiel: Wien ist eine über Jahrhunderte gewachsene Stadt, die im innerstädtischen Bereich durch dichte gründerzeitliche Bebauung gekennzeichnet ist, denn bereits damals war Bauland ein begrenztes Gut. Gleichzeitig besteht der öffentliche Raum vorrangig aus Verkehrsflächen und wird nach wie vor von Asphalt und Autos dominiert. Der ruhende Verkehr – die "Park(platz)spur" – erhitzt sich zusätzlich, da Autos ebenso Hitze speichern und abgeben. Asphalt ist zudem die denkbar schlechteste Oberfläche, da Hitze enorm aufgenommen wird und Regenwasser nicht versickern kann. Anders ist das Temperaturverhalten, beispielsweise bei Pflastersteinen aus Granit mit Ritzen zur Versickerung von Oberflächenwasser. Auch fehlt in Wien vielerorts eine blaue Infrastruktur, wie Flüsse, Bäche oder Oberflächenbewässerung, die im Hitzefall Kühlung ermöglichen.

All diese Faktoren lassen sich messen. Die Daten sind empirisch evident und wurden in zahlreichen (Forschungs-)Projekten erhoben. Beispielsweise entwickelte das Forschungsprojekt GLARA eine App, die Oberflächentemperaturen in Abhängigkeit der Oberflächengestaltung simuliert. Diese App wird auch im Rahmen von Beteiligungsformaten mit lokaler Bevölkerung als Informationsmedium eingesetzt.
Nicht alle Bereiche einer Stadt sind gleich betroffen, es gibt stärkere (in der Regel Innenstadtlagen) und weniger stark betroffene (Außenlagen) Gebiete. Wir sprechen hier von Klimagerechtigkeit, denn Maßnahmen gegen sogenannte Hitzeinseln werden nicht überall gleichermaßen umgesetzt. 

Einblicke in zukunftsweisende Zugänge bieten die "nachhaltige Region" (Start: Sommersemester 2026) sowie die "soziale Region" (Start: Sommersemester 2027) der Kooperativen Stadt- und Regionalentwicklung.

Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Hitzeresilienz österreichischer Städte im internationalen Vergleich – und welche Unterschiede zeigen sich dabei zwischen urbanen Zentren, suburbanen Räumen und ländlichen Gemeinden? 

Diese unterschiedlichen Raumtypen lassen sich kaum in Bezug auf Hitze-Resilienz vergleichen. Wenn wir allein den Begriff „Hitze-Resilienz“ spezifizieren, so sollte dieser eher als „Vorbereitet-Sein“ durch systemischen Wandel verstanden werden. Es geht weniger darum, als Mensch-Umweltsystem nach disruptiven Ereignissen wie Jahrhundertsommer oder -hochwasser oder Hangrutschungen die Schäden einzudämmen und im Status Quo zu verharren. Vielmehr liegt die Herausforderung in einer Bewusstseins- und Verhaltensänderung, die beispielsweise die Versiegelung von Boden für neue Straßen oder Wohngebiete eindämmt. 

Good Practice Beispiele werden in der "resilienten Region" der Kooperativen Stadt- und Regionalentwicklung vor Ort besucht und näher diskutiert (Start: Sommer 2026).

Welche Maßnahmen zur Minderung städtischer Hitzebelastung gelten aus wissenschaftlicher Sicht als besonders wirksam – und warum scheitert ihre flächendeckende Implementierung bislang häufig an politischen, planerischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?

Nachweislich wirksam sind Kaltluftschleusen und Begrünungen der verdichteten Bestandsstadt. Somit muss bei bestehenden Kaltluftschleusen (in Wien z.B. Wiental, Donautal) in Bebauungsplänen entsprechend Rücksicht genommen werden, sodass die kühlere Umlauft auch den Kern der Stadt erreicht und ein Luftaustausch stattfinden kann. Begrünungen der verdichteten Bestandsstadt sind ebenfalls wirksam und das in mehrfacher Hinsicht: als Schattenspender, die Bodenerhitzung bremst, als Wasserspeicher, als Entsiegelungsinstrument, um nur einige zu nennen. Zusätzlich haben Grünräume nachweislich einen psychologischen Effekt, der sich positiv auf Menschen auswirkt.

Die flächendeckende Implementierung scheitert primär noch immer am weit geteilten Verständnis, dass ein eigner PKW kostengünstig vor der eigenen Haustüre – somit im öffentlichen Raum – parken soll und darf. Hier ist eine Mobilitätswende mehr als angebracht. Die Bevölkerung ist hier gedanklich oft weiter, als sich Politik zu entscheiden traut. Der Faktor Kosten darf jedoch auch nicht ausgeblendet werden. Grünflächen in die Bestandsstadt zu bringen ist planerisch aufwendig aufgrund der zahlreichen Einbauten (Strom, Wasser, Gas, Fernwärme, Kanal, Telekommunikation etc.) und kostenintensiv. Baumpflanzungen sind kostspielig, in der Stadt ebenso wie in peripheren Lagen. Der erzielte Mehrwert ist hingegen schwer monetär zu bemessen. Ein weiteres Detail: Fassadenbegrünung scheitert häufig an der Organisation innerhalb von Hausgemeinschaften, da alle Parteien dieser kosten- und pflegeintensiven Maßnahme zustimmen müssen. Viel leichter ist es daher, öffentliche Gebäude zu begrünen.
Dennoch zeigen uns Beispiele, dass es manchmal "nur" um eine Öffnung und einen Zugang zu Grünräumen geht, weil sie bereits vorhanden, jedoch nicht für eine (Alltags-)Nutzung verankert sind. Dazu zählen Friedhofsflächen oder ehemalige Kasernenanlagen ebenso wie großzügige Freiflächen von Schulen oder Universitäten.

Wie kann eine sozial gerechte, inklusionsorientierte Stadtplanung gewährleisten, dass besonders hitzevulnerable Bevölkerungsgruppen – etwa ältere Menschen, Kinder oder Personen mit Vorerkrankungen – adäquat geschützt und versorgt werden?

Die Herausforderung liegt hier nicht nur in der Bewusstseinsschaffung, sondern im tatsächlichen Tun und der Umsetzung. Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche generell in der Stadt unterversorgt sind, wenn sie selbständig Grünräume aufsuchen und nutzen wollen. Ebenso wissen wir, dass ältere Menschen vor allem an den kurzen Distanzen zwischen ihrer (überhitzten) Wohnen und den „coolen Zonen“ wie Parks oder klimatisierte Senior*innentreffs scheitern. Zu heiß ist die letzte Meile und zu groß die Sorge, dass der Kreislauf nicht standhält. Aber es sind auch Menschen davon betroffen, die besonders auf den öffentlichen Raum angewiesen sind, wie wohnungs- und obdachlose Menschen.

Die Stadtplanung kann hier auf intersektionale Ansätze zurückgreifen, die unterschiedliche Bedarfslagen berücksichtigt anstatt für eine – vermeintlich homogene – Zielgruppe zu planen. Das ist ressourcenintensiv, allerdings profitieren in der Regel mehr Menschen von der qualitätsvollen Planung. Außerdem sind aufsuchende Beteiligungsformate zu empfehlen, wenn sogenannte schwer erreichbare Zielgruppen gehört werden sollen. Eine Person, die sich beispielsweise als 24-Stundenpflege um einen pflegebedürftigen Menschen sorgt, weiß sehr gut, wo die Barrieren im täglichen Leben – sei es in der Stadt oder im ländlichen Raum – liegen. 

Vielfältige Einblicke zu diesen neueren Ansätzen und Umsetzungen in der Verwaltung und Praxis bietet die "soziale Region" der Kooperativen Stadt- und Regionalentwicklung (Start: Wintersemester 2026).

Welche architektonischen Strategien und baulichen Elemente kennzeichnen eine hitzeangepasste Bauweise – und in welchem Maße beeinflussen diese die ästhetische, funktionale und soziale Wahrnehmung des urbanen Raums?

Die in Wien im innerstädtischen Bereich dominierende gründerzeitliche Bebauung ist ästhetisch wertvoll, in der Regel jedoch leider nicht immer energieeffizient nach heutigen Standards. In internationalen City Rankings schneidet Wien traditionell sehr gut ab, eine der Ausnahmen bildet die Gebäudeeffizienz. Dies liegt unter anderem an den verwendeten Indikatoren, die zugrunde gelegt werden. Eine Altbauwohnung, die "durchgesteckt" ist und quergelüftet werden kann trägt hier nicht zum Narrativ der Klimaresilienz bei. Ein anderes Bild zeigt sich in neu entwickelten Stadtquartieren. Hier werden nach Möglichkeit intelligente Gebäudeausrichtung und Wohnungsgrundrisse oder auch neue Gebäudetechnologien wie bspw. aktivierte Bauteile und integrierte Gebäudekühlung angewandt. Ob Neubauquartiere aufgrund dieser Maßnahmen per se klimaeffizienter sind, ist zu diskutieren. Die Bodenversieglung spricht jedenfalls nicht dafür und die resultierende Architektur ist in der Regel wenig vielfältig. Anregungen hierzu bietet die "unternehmerische Region" der Kooperativen Stadt- und Regionalentwicklung (Start: Wintersemester 2025).

Eine hitzeangepasste Bauweise des öffentlichen Raums zeichnet sich jedenfalls durch verhaltenes Asphaltieren, Begrünung, blauer Infrastruktur, Retentionsbecken und Beschattungselemente durch Möblierung aus. Auch ein "more-than-human"-Ansatz ist zielführend, der den menschlichen auch die Bedürfnisse von Tieren und Biodiversität hinzufügt: Trinkwasserbrunnen erhalten Wassernapfe für Hunde (und Vögel freuen sich ebenso), Grünflächen werden untereinander zu "Bändern" vernetzt und ermöglichen es Insekten, in Grünkorridoren zu migrieren.

Soziale Funktionen werden dann abgedeckt, wenn Orte des Verweilens geschaffen werden, die zudem konsumfrei sind und ein generationenübergreifendes Miteinanders ermöglichen. Nutzungskonflikte sind hier nicht auszuschließen, sondern zuzulassen, denn: Öffentlicher Raum ist Sozialraum. Hier treffen oft Zielkonflikte wie erhöhtes Ruhe- versus Spielbedürfnis aufeinander. Meditation mit Intermediären wie Parkbetreuungen oder Jugendarbeiter*innen ermöglicht die Aushandlung unterschiedlicher Interessenslagen.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Versiegelungsgrads: Welche planerischen Ansätze können Kommunen verfolgen, um Flächennutzung ökologisch verträglicher zu gestalten, ohne dabei den Druck auf den Wohnungsmarkt zusätzlich zu verschärfen?

Der Wohnungsmarkt ist nur ein Teilbereich, der für die Bodenversiegelung mitverantwortlich ist. Viel gewichtiger ist der Immobilienmarkt als solcher, der auch Büro- und Gewerbeflächen umfasst. Der Neubau schafft auch Möglichkeiten, denn hier wird viel kompensiert, das kleinräumig nicht vorhanden ist: Horizontale und vertikale Begrünung sind gute Praxis, Freiflächen – wenn auch nicht immer qualitätsvoll – tragen ihr Übriges bei. Deutliches Verbesserungspotential liegt bei Verkehrsflächen oder Fachmarktzentren. Das umfasst Widmung, Gestaltung, (Mehrfach-)Nutzung wie auch Klimaeffizienz. Rein planerisch verfügen Kommunen über ausreichende Instrumente (beispielsweise mittels Bebauungsplan, Flächenwidmung, planerische Leitbilder etc.), um der Bodenversiegelung entgegenzuwirken. Sie müssen allerdings auch in der intendierten Form interpretiert und angewandt werden.



Aktueller Buchtipp zum Thema mit Beiträgen von etwa 80 Autor:innen, u.a. von Yvonne Franz und Martin Heintel, sowie Lehrbeauftragten und Alumni des Programms "Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung":

Heintel, M. (Hrsg.) (2025): Wien7_Neubau; Stadtplanung, Stadtentwicklung und Stadtlabor. Wien: Böhlau [ISBN (print): 978-3-205-22141-8; ISBN (open access): 978-3-205-22143-2].
DOI: https://doi.org/10.7767/9783205221432